„Wir drücken uns nicht davor, Baustellen in Angriff zu nehmen“

Sportheimsanierung, Makro-Projekt Ehrenamt, Digitalisierung und Reha-Sport: Der VfL Wingst stellt sich vielen Herausforderungen

„Vereinsdialog beim VfL Wingst im NFV-Kreis Cuxhaven. Die lange Anfahrt in den Norden unseres Verbandsgebietes hat sich gelohnt, weil der Austausch sehr offen und konstruktiv war. Dafür herzlichen Dank!“ So postete NFV-Präsident Ralph-Uwe Schaffert bei Instagram und wurde prompt von seinen Gastgebern vollumfänglich bestätigt. Die teilten nach einem 120-minütigen Gespräch mit der NFV-Spitze nämlich auf ihrer Homepage mit: „Es war ein sehr gelungener Abend mit einem sehr konstruktiven Austausch.“

Das in knapp zwei Jahren umfangreich sanierte VfL-Sportheim am Dobrock-Sportplatz ist der schmucke Veranstaltungsort des Vereinsdialogs. Auf seiner Homepage kommentiert der VfL völlig zu Recht: „Nicht nur auf das Was, sondern vor allem auf das Wie kann der VfL Wingst sehr stolz sein, nämlich ein so großes Projekt zu bewältigen mit einem hohen Anteil an Eigenleistung, so wie es heute nur noch selten vorkommt.“ Vereinsvorsitzender Michael Schlobohm rechnet den Gästen vom NFV vor, dass der VfL neben einem Zuschuss in Höhe von 170.000 Euro aus öffentlicher Hand rund 4.500 Arbeitsstunden in Eigenleistung investiert habe, um das ehrgeizige Projekt zu realisieren. Zusätzlich konnte der Verein auf die Unterstützung vieler örtlicher Firmen zählen.

Zum Zeitpunkt des Vereinsdialogs zählt der 1913 gegründete Mehrspartenverein VfL Wingst 908 Mitglieder, nachdem der Bestand zu Corona-Hochzeiten zwischenzeitlich auf rund 800 Mitglieder gesunken war. Mit circa 400 Mitgliedern, darunter 50 Passiven, bilden die Fußballer und Fußballerinnen die größte Abteilung im Verein. Fünf Herren- und zwei Frauenteams sowie elf Juniorenmannschaften, die laut Abteilungsleiter Jannik Draack in der JSG Am Dobrock antreten, gehören der Abteilung an und können auch auf die Unterstützung durch einen Förderverein mit rund 180 Mitgliedern zählen.

Draack bezeichnet die Ü 32 des Vereins als Sorgenkind der Fußballsparte. „Es ist schwer, die Leute dafür zu begeistern, ihre aktive Laufbahn im Altherrenbereich fortzusetzen“, so der Abteilungsleiter. Um den Problemen im Ü-Fußball begegnen zu können, wünscht er sich eine flexiblere Gestaltung des Spielbetriebes. Cuxhavens Kreisvorsitzender Thorsten Holz ist überzeugt: „Diesbezüglich sind die Staffelleiter sicherlich bereit, Zugeständnisse zu machen.“

Draack beklagt aber auch einen Mitgliederrückgang bei den Frauen. Michael Schlobohm bestätigt: „Wir hatten mal 14 Frauenteams im Kreis, heute sind es nur noch acht.“ NFV-Direktor Steffen Heyerhorst bestätigt diesen Trend, rechnet vor, dass der Mannschaftsbestand im NFV von 22.000 auf aktuell rund 16.000 Teams gesunken ist. Als „katastrophal“ bezeichnet Draack den Ist-Zustand im Mädchenfußball. Für die E-Juniorinnen kann überhaupt kein Spielbetrieb angeboten werden, während die C-Juniorinnen gemeinsam mit Teams aus dem NFV-Kreis Stade spielen. Mit der Ausrichtung von Spielnachmittagen für die E-Mädels hofft man im Kreis, dass diese vielleicht in der Bildung einer Staffel münden.

Ralph-Uwe Schaffert kennt diese Nöte aus eigener Erfahrung, hat er doch jahrelang selbst ein Mädchen- und späteres Frauenteam trainiert. „Man wird neue Wege gehen und Denkschablonen durchbrechen müssen, um den Herausforderungen zu begegnen“, so der Präsident, für den es vorstellbar ist, dass E-Juniorinnen auch bei den F-Mädels mitspielen können. Zudem baut er darauf, dass ab der kommenden Saison die Einführung des sogenannten Schleswig-Holstein-Modells, also die auch kreisübergreifende Bildung von Staffeln unter dem Gesichtspunkt kurzer Anfahrtswege, den Frauenfußball stärken könnte.

In der FLYERALARM Frauen-Bundesliga wird derzeit zwar ein Besucherrekord nach dem anderen aufgestellt. Doch laut Schaffert lässt sich der Erfolg der deutschen Fußballfrauen mit dem Erringen der Vizemeisterschaft bei der Europameisterschaft in England in den unteren Frauen-Ligen nicht wahrnehmen: „Wir haben zu meiner Zeit als Trainer mit dem PSV Grün-Weiß Hildesheim in der vierthöchsten Spielklasse gespielt und waren froh, wenn wir 30 Zuschauer hatten. Daran hat sich bis heute leider nichts geändert.“

Der Präsident hat registriert, dass viele Vereine im Fußballland Niedersachsen bedauert haben, dass 2022 der Girls-Cup nicht ausgetragen wurde. „Den wird es auf alle Fälle wieder geben, das nehmen wir auch ohne Sponsor in die Hand“, stellt der Hildesheimer für dieses Jahr in Aussicht.

„Wir haben 1000 Baustellen und drücken uns auch nicht davor, diese in Angriff zu nehmen“, weiß Michael Schlobohm, dass beim VfL Wingst nicht nur im Frauen- und Mädchenfußball der Schuh drückt. Der Vorsitzende bedauert, dass nicht alle Übungsleiter im Verein lizenziert sind und bei den Jugendmannschaften Betreuer fehlen. Zudem stellt der Verein derzeit nur zwei statt der erforderlichen vier Schiedsrichter. Es sind in der Vergangenheit zwar viele VfLer als Schiedsrichter ausgebildet worden, „aber möglicherweise wurden die jungen Leute nicht richtig an die Hand genommen und sind uns deshalb verloren gegangen.“ Schlobohm hält es für denkbar, verloren gegangene Unparteiische mit den Angeboten von Crash-Kursen zurückgewinnen zu können. Thorsten Holz befürwortet diese Überlegung und verweist auf das Patensystem, mit dem Schiedsrichter-Neulingen der Einstieg in ihr Hobby erleichtert werden soll.

 „Viele junge Unparteiische gehen uns verloren, weil sie es leid sind, angepöbelt zu werden. Da stehen auch die Vereine in der Pflicht, einzuschreiten, wenn sich solche Szenen abspielen. Die Toleranz von Zuschauern gegenüber dem Schiedsrichter ist schnell aufgebraucht. Da fühlt sich dann einer plötzlich stark, wenn er auf Kosten des Unparteiischen einen Witz macht und zehn andere lachen“, kritisiert Ralph-Uwe Schaffert. Sein „Vize“ Christian Röhling hat Hochachtung vor den Schiedsrichtern und betrachtet es als „schlimmes Zeichen“, dass Eltern-Zonen eingerichtet werden müssen, um einen störungsfreien Ablauf von Jugendspielen zu gewährleisten. Cuxhavens stellvertretender Vorsitzender Jörg Schmitz fordert: „Die Eltern müssen noch viel stärker sensibilisiert werden, damit junge Unparteiische ohne Einflussnahme von außen Fußballspiele leiten können.“

Für Präsident Schaffet steht in diesem Zusammenhang außer Frage: „Wir müssen den Fußball vernünftig verkaufen. Fußball ist kein Proletensport. Nur einige wenige Ausreißer machen das ganze Bild kaputt.“ Er denkt dabei zuerst an Hooligans und Pyro-Exzesse, aber eben auch an „Fans“, die glauben, dass Beleidigungen zum guten Ton gehören und ihr gutes Recht sind.

„Die Wertschätzung des Ehrenamtes steht für mich an erster Stelle.“ – Michael Schlobohm, der 2003 als Ehrenamtspreisträger des Fußballkreises Cuxhaven am Dankeschön-Wochenende in Barsinghausen teilgenommen hat, weiß um die vielen Vorteile, die auch der VfL Wingst durch die freiwillige ehrenamtliche Tätigkeit seiner Mitarbeiter*innen genießt. Mit der Durchführung eines zweijährigen „Makro-Projektes“, das vom LandesSportBund gefördert wird, möchte der VfL Strukturen schaffen, die das Ehrenamt motivieren und seine Arbeit erleichtern, um so seinen Mitgliedern ein vielfältiges und qualitativ anspruchsvolles Angebot machen zu können.

Glücklich ist die VfL-Familie darüber, dass ab 2023 neue Kurse Rehabilitationssport für Erwachsene angeboten werden können. Unter Leitung der lizenzierten Präventions- und Reha-Übungsleiterin Anette Lührs können Interessierte einen Reha-Sportkurs belegen, wobei die Kosten bei Vorlage einer notwendigen Verordnung von der Krankenkasse getragen werden. Das Rehasport-Angebot kann auch von Nichtmitgliedern des VfL in Anspruch genommen werden.

Bleibt ein Digitalisierungsprozess, den die Grün-Gelben mit Nachdruck vorantreiben. Aus dem Förderprogramm der NBank „Digitalbonus. Vereine. Niedersachsen“ haben die VfLer einen Zuwendungsbescheid in Höhe von 10.000 Euro erhalten. Damit möchte der Verein u.a. die Ausstattung des Vorstandes und der Abteilungsleiter mit erforderlicher Hardware vornehmen

„Euer Besuch war eine tolle Geschichte für uns“, versichert Michael Schlobohm den VfL-Gästen nach gut 120-Dialog-Minuten. Aber auch für Ralph-Uwe Schaffert hat sich die Reise ins 3400 Einwohner zählende Wingst gelohnt: „Es war schön zu sehen, dass es auch im entferntesten Zipfel Niedersachsens Menschen gibt, die sich für den Fußball engagieren.“

 Von PETER BORCHERS (NFV)

Die Dialogteilnehmer*innen

VfL Wingst: Michael Schlobohm (Vorsitzender), Katrin Katt (stellv. Vorsitzende), Jannik Draack (Fußballabteilungsleiter), Steffen Frommhold (stellv. Fußballabteilungsleiter), Sabrina Steinberg (Frauen & Mädchen), Tim Schlobohm (stellv. Sportwart), Niklas Hinck (Trainer I. Herren), Thomas Schütt (Vertreter Alte Herren/JSG)

NFV: Ralph-Uwe Schaffert (Präsident), Christian Röhling (Vizepräsident), Steffen Heyerhorst (Direktor), Tore Hachfeld (Team Masterplan), Peter Borchers (Team Öffentlichkeitsarbeit)

NFV-Kreis Cuxhaven: Thorsten Holz (Vorsitzender), Jörg Schmitz (stellv. Vorsitzender)